Rohstoffe, Handelsabkommen, Innovation: Europa braucht eine integrierte wirtschaftspolitische Strategie. Jetzt. Analyse von Prof. Dr. Carlo Masala
Chinas Dominanz bei kritischen Rohstoffen und seltenen Erden macht Europas Lieferketten verwundbar – wirtschaftlich, technologisch und politisch. Prof. Dr. Carlo Masala analysiert exklusiv bei AKE | SKABE, warum der Critical Raw Materials Act allein nicht reicht und welche integrierten Hebel Europa jetzt braucht: von Investitionen und Binnenmarktregeln über Außenhandelspolitik bis hin zu Reserven und Forschung.

Prof. Dr. Carlo Masala ist Experte für Sicherheits- und Verteidigungspolitik und leitet an der Universität der Bundeswehr München u. a. das Center for Intelligence and Security Studies (CISS). AKE | SKABE unterstützt er als wissenschaftlicher Berater und veröffentlicht u. a. exklusive Beiträge zu sicherheitspolitischen und geostrategischen Themen.

Europas wirtschaftliche Souveränität am Wendepunkt: Rohstoffe als strategischer Engpass
Die europäische Wirtschaft steht an einem Wendepunkt: Ihre Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen und seltenen Erden gefährdet nicht nur die technologische Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch und vor allem die wirtschaftliche Souveränität des Kontinents. China dominiert weltweit die Förderung, Verarbeitung und Raffination kritischer Materialien – etwa 85 Prozent der Raffinierungskapazitäten liegen in chinesischer Hand. Diese Konzentration von Rohstoffen hat in der Vergangenheit das weltwirtschaftliche Gleichgewicht zugunsten Chinas verschoben und ermöglicht es Peking, globale Lieferketten als machtpolitisches Instrument zu nutzen.
Wenn Lieferketten politisiert werden
Wurden Lieferketten in der Vergangenheit in dem Glauben aufgebaut, dass alle davon profitieren würden, sehen wir in jüngster Vergangenheit, wie diese Lieferketten politisiert werden. De facto wird der Zugang zu Rohstoffen als Instrument zur Erzwingung politischen und ökonomischen Wohlgefallens eingesetzt. Die EU hat mit dem Critical Raw Materials Act (CRMA) einen wichtigen ersten Schritt zur größeren Autonomie Europas von China vollzogen, doch es fehlt an konkreter Umsetzung, Finanzierung und industriepolitischer Kohärenz.
CRMA: wichtiger Schritt, aber ohne Umsetzungskraft
Insbesondere die Staats- und Regierungschefs der EU haben bei der Umsetzung des CRMA bislang nur geringe Entschlossenheit erkennen lassen. Europas Antwort auf die wachsende Rohstoffabhängigkeit sollte in einer strategisch abgestimmten Kombination aus Binnenmarktpolitik, Industriepolitik, Handelspolitik und Innovationsförderung bestehen. Denn eine koordinierte europäische Wirtschaftspolitik ist die Voraussetzung, um Verwundbarkeit zu verringern, Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und die grüne sowie digitale Transformation unabhängig von externem Druck zu gestalten.
5 Hebel für eine integrierte wirtschaftspolitische Strategie Europas
Die zentralen wirtschaftspolitischen Handlungsinstrumente, die der EU zur Verfügung stehen, um sich graduell aus der chinesischen Abhängigkeit zu befreien, sind:
- Eine koordinierte Investitionspolitik und öffentliche Förderung: Die EU muss gezielt Investitionen in Förderung, Verarbeitung und Recycling kritischer Rohstoffe kofinanzieren. Etwas Ähnliches ist bereits bei Batterien und Wasserstoff mit dem Instrument der Important Projects of Common European Interest (IPCEI) erfolgt.
- Eine Stärkung des europäischen Binnenmarkts für Rohstoffe: Es bedarf harmonisierter Genehmigungsverfahren, gemeinsamer Umweltstandards, jedoch in erster Linie neuer Finanzierungsinstrumente, bei denen die Europäische Investitionsbank eine zentrale Rolle einnimmt. Dadurch könnte die Entwicklung einer integrierten europäischen Rohstoffindustrie vorangetrieben werden.
- Handelspolitik ist auch Geopolitik: Neue Handelsabkommen mit rohstoffreichen Demokratien sollten geschlossen werden. Diese müssen Rohstoffkapitel enthalten, die perspektivisch europäische Unternehmen absichern. Parallel dazu sollte die EU Exportkontrollinstrumente strategisch nutzen, um Abhängigkeiten in Hochtechnologiesektoren zu minimieren.
- Strategische Reserven und Markttransparenz: Europa braucht eine eigene Rohstoffreserve, um externe Schocks infolge politisch motivierter Rohstoffverknappung seitens Drittstaaten absorbieren zu können. Neben einer eigenen Lagerhaltung bedarf es dazu auch eines Frühwarnsystems, welches die Verfügbarkeit von kritischen Rohstoffen global monitort und auf Entwicklungen aufmerksam machen kann, die dazu führen könnten, dass bestimmte Rohstoffe verknappt werden.
- Forschungsinvestitionen: Es muss mehr in Forschung investiert werden, um Substituten zu entwickeln. Dies könnte über die Horizont-Europa-Förderrichtlinie der EU erfolgen.
Fazit: Handlungsfähigkeit entscheidet über Europas Zukunft
Die Verringerung der Rohstoffabhängigkeit ist kein industrielles Problem. Sie ist eine hochpolitische Herausforderung. Und sie ist ein Lackmustest, der darüber Auskunft gibt, wie handlungsfähig Europa in Zukunft sein wird.
Eine gemeinsame wirtschaftspolitische Strategie, die all die oben genannten Elemente miteinander verbindet, kann Europas Verwundbarkeit reduzieren. Im besten Fall kann sie Europa zu einem starken Player im globalen Rohstoffmarkt transformieren.
Die Voraussetzung dafür ist aber die Erkenntnis, dass die Rohstofffrage eine immens politische ist.


